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Shavasana & der Kleine Tod

Shavasana – der Teil in der Yogapraxis, auf den sich viele Menschen am schlechtesten einlassen können, und auch ich habe diesen Teil meiner Asanapraxis lange Zeit nicht so wichtig genommen.

Im Shavasana begegnest Du Deinen Gedanken, wie kaum in einem anderen Moment. An manchen Tagen, in manchen Augenblicken, empfindest Du die Gedankenströme vielleicht wie einen Orkan oder den Lärm einer Großstadt, in anderen Momenten kann es dem Stillstehen der Luft eines heißen, Sommertages gleichen, in dem Du für Augenblicke mit allem verschmilzt. Es schwankt zwischen dem zarten streicheln von umherschwirrenden Gedanken und einem Gedankentornado, zerstörerisch, laut und wild. All das in Dir.

Wir finden Ausreden, lenken uns ab, lassen uns ablenken, planen vielleicht schon den Tag, brechen Vorzeitig ab, oder beginnen das Shavasana gar nicht erst, weil so viel wichtigeres zu tun ist. ABER WARUM?

Vorab möchte ich Dir verraten, dass diese Auseinandersetzung, das Einlassen für mich ein großes Geschenk war. Die kleinen Widerstände und Ausreden die Du vielleicht auch in Dir findest sind Teil dessen, was Dir das Shavasana zu schenken vermag. Wenn Du also wissen möchtest was hinter dieser Asana steckt, dann lies an dieser Stelle gerne weiter und vor allem bist Du eingeladen, auszuprobieren, Dir zu lauschen und auf Deine eigene Entdeckungsreise zu gehen.

SHAVASANA – WAS IST DAS UND WIE GEHT DAS?

Das Wort Shavasana/Savasana entstammt dem alt-indischen und noch heute als Literatur- und Gelehrtensprache geltenden Sanskrit. Das Wort Shava wird übersetzt mit Leichnam, Asana wird Haltung übersetzt, also die Leichnamhaltung

Shavasana folgt in der modernen, westlichen Yogapraxis meist als letzte Asana auf die anderen Haltungen aber auch zu Beginn oder zwischen den einzelnen Positionen und Übungen kommt es zum Einsatz.

Der Aufbau der Asana kommt simpel daher, auf dem Rücken liegend, die Arme liegen neben dem Körper wobei noch Luft zwischen die Achselhöhlen gelangen soll. Die Handflächen von den Oberschenkeln entfernt zeigen nach oben. Die Finger sind ganz entspannt und krümmen sich daher meist. Die Beine liegen gespreizt, gestreckt aber völlig entspannt meist Hüft- oder Mattenbreit. Die Füße kippen nach Außen.

Shavasana wird manchmal auch als Yoga Nidra (Yoga Schlaf) bezeichnet und gehört zu den sogenannten Pratyahara-Techniken. Das tatsächliche einschlafen wäre jedoch eher Zeichen von Überanstrengung im Alltag und ist nicht Ziel des Shavasanas. Pratyahara wird als „Rückzug der Truppen“, aber auch als „fasten“, „sich von dem zurückziehen was einen ernährt“ übersetzt und bezeichnet Techniken, die dazu führen, dass die äußeren Sinne sich aus dem Alltagsbewusstsein zurückziehen aber auch ein „verschmelzen mit der Außenwelt, so dass die Sinne ihre vermittelnde Funktion verlieren.“

WAS PASSIERT IM KÖRPER?

Das Shavasana am Ende der Yogapraxis hilft all die Impulse und Erfahrungen im Körper und Nervensystem zu verarbeiten. Muskeln und Faszien können in der Passivität rehydrieren (Flüssigkeitsausgleich) und erlauben dem Blut frei zu zirkulieren. So regenerieren nicht nur alle Zellen, sonder werden auch gut genährt.

Im Shavasana fährt das Nervensystem herunter, der Sympatikus fährt herunter und der Parasympatikus übernimmt die Führung und schaltet in den Ruhemodus, die Beta-Wellen ebben ab und die Theta-Wellen, die auch in der REM-Schlafphase auftreten, können den Praktizierenden durchströmen. Je nach Lebenswirklichkeit, Übung und Zeitfenster können im Shavasana sogar Delta-Wellen, die normalerweise im Zustand des Tiefschlafs auftreten gemessen werden.

Auf energetischer Ebene harmonisiert es Energien. Gerade zum Ende einer Yogastunde, in der Chakren (Energiezentren) aktiviert und Nadis (Röhren/Energiebahnen) geöffnet werden. Gemeint sind an dieser Stelle jedoch nicht die körperlichen Kanäle wie Adern sondern die feinstofflichen Energiekanäle, die das gesamte Körpersystem sowie alle Hüllen durchdringen und mit Prana (Lebensenergie) versorgen. Im Kundaliniyoga geht man von 72.000 dieser Kanäle aus. Wenn diese geöffnet und Prana (Lebensenergie) erzeugt wird, hilft das Shavasana die feinstofflichen Energien beispielsweise in den Chakren zu speichern und für die nächsten Stunden und Tage nutzbar zu machen.

In spiritueller Hinsicht kann es im Shavasana dazu kommen, dass die Aura sich ausdehnt. Manche Menschen erleben im Shavasana Astralreisen, sie verlassen also den physischen Körper und können sich von oben sehen. Manche Menschen berichten von Pranaströmen, dem Hören von Anahataklängen (Herzklängen), vom sehen wunderschöner Bilder, vom Spüren und Durchströmtsein von plötzlicher Freude. Ein Gefühl von tiefer Verbundenheit oder von Leichtigkeit. Laotse hat bereits Worte gefunden, die wohl auch für das Shavasana gelten.

„Der Reisende ins Innere findet alles, was er sucht, in sich selbst. Das ist die höchste Form des Reisens“

SHAVASANA – DER KLEINE TOD & WARUM STERBEN TEIL DES LEBENS IST

Es gibt die größeren Tode, wie sie nach Schicksalsschlägen, Verlusten, kurzum Lebenskrisen entstehen. Doch mit einer gewissen Kontinuität schenkt das Leben auch immer wieder Gelegenheiten in denen wir Überzeugungen, andere Menschen, Bewertungen, Schubladen, Privilegien, Ängste, die eigene Enge/Grenzen hinterfragen, verabschieden und loslassen dürfen. Auch das kann das Gefühl eines kleinen Todes erzeugen. Dieses Loslassen findet außerhalb unserer Komfortzone statt aber wir haben Einfluss darauf, ob wir in den Widerstand oder die Hingabe gehen.

Den Tod in das Leben zu integrieren, sich mit dem eigenen Tod anzufreunden scheint mir wichtiger denn je. Nicht nur haben wir einen Großteil der Sterbekultur eingemottet, oder gar verloren, auch die Möglichkeiten, Leben zu erhalten, lässt in uns das Gefühl aufkommen, wir hätten die Macht Leben und Tod zu kontrollieren. Eine Vermessenheit, die unser Ratio, der schlussfolgernde logische Verstand, sogleich korrigieren kann, daher nutzen wir kollektiv lieber die Möglichkeit der Vermeidung, Tod und todbringende Krankheiten auszublenden. Der Nachbar mit der tödlichen Krankheit wird lieber übersehen, auf eine Beerdigung nimmt man die Kinder nicht mit (die bekommen sonst Angst – dahinter vielleicht die eigne Angst sich mit den Kindern über den Tod auseinandersetzen zu müssen?), der Tod wird in die Altenheime und Krankenhäuser ausgelagert, entsorgt.

Die Folgen dessen sind weitreichend und verstärken die Angst vor dem Tod letztlich. Immer häufiger wird Menschen die Möglichkeit verwehrt, in Frieden und Würde sterben zu können. Voll mit Schläuchen, Medikamenten, immer wieder ins Leben zurückgeholt, betäubt, festgebunden. Das sind die Schattenseiten der technischen und medizinischen Errungenschaften, wohl wissend, dass sie auch Möglichkeiten bietet und segensvoll eingesetzt werden.

Ich möchte diesen Absatz mit einer Frage beenden, die sicherlich neue Fragen nach sich zieht und möchte Dich einladen Deine Antworten zu finden. „Können wir Achtung vor dem Leben haben, wenn wir den Tod scheuen?

Sterben, um neu geboren zu werden: Der Tod ist Teil des Lebens, daher richten sich meine Gedanken an dieser Stelle zunächst dem Leben zu, indem ich mich frage, was das Leben an sich eigentlich ist. Was ist es, was Leben ausmacht?

Lebendigkeit ist letztlich Bewegung und Entwicklung. Entwicklung und Bewegung setzen Veränderung voraus und diese Veränderung kann nur geschehen wenn altes, verbrauchtes losgelassen wird. Vielleicht ist jeder Atemzug die Erinnerung an Tod und Leben, an das Wechselspiel, das Zusammenwirken dieser beiden Kräfte und der Tod, der Motor des Lebens. Selbst im Tod steckt Leben, selbst in der Verwesung geschieht Entwicklung. Tod bringt Leben so wie Leben Tod bringt. Verflochten, verbunden schenkt beides den Frieden, Teil etwas größeren, unendlichen zu sein.

WARUM SHAVASANA DIE VIELLEICHT WICHTIGSTE ASANA IST?

Nun also nochmals zurück zum Shavasana, dessen wundervollen Nebenwirkungen Du ja bereits kennenlernen vielleicht sogar schon mal erfahren durftest.

Es scheint mir als verbürge sich hinter dem Shavasana eine der wichtigsten Asanas unserer Gesellschaft unserer Zeit, vielleicht sogar die wichtigste. Das Loslassen zu kultivieren, das eigene Sterben und Werden in sich zu erfahren, der Mikrokosmos, des kleinen Todes, der tausend Tode, die man im Laufe seines Lebens stirbt, über den eigenen Tod, vielleicht zu den vielen Leben die wir durchschreiten, zu den großen Veränderungen im kollektiven Feld, den absteigenden und aufsteigenden Zeitaltern, Epochen bis hin zu etwas, dass viel größer ist, als das ich es überschauen könnte.

Um das Thema „Loslassen“ geht es u.a. auch in unserer HARMONIE-Challenge ab 08.11.2021, die von der Autoren dieses Artikels, Simone Rödder, fachlich und intensiv begleitet wird. Weitere Informationen dazu findet man hier

Mehr über Simone Rödder unter: www.seelenräume.com

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