Irie Feeling
Irie bedeutet so viel wie – sich gut zu fühlen – im Frieden mit dem gegenwärtigen Moment sein oder ein Jamaikaner würde sagen – everything is alright! Sozusagen die höchste Form des glücklich – oder zufrieden Seins. Jamaika – eine Insel die mich schon seit meiner Kindheit fasziniert. Türkis-blaues Meer und idyllische Sandstrände, Palmen, entspannte Menschen, Reggae, traumhafte Wasserfälle und vor allen Dingen eins – Dancehall – ein Tanzstil und eine Kultur, die mich schon seit meiner frühen Jugend inspiriert und prägt. In meinem Kopf keimt die Idee schon seit ich 18 bin, mal eine längere Zeit im Ausland zu verbringen. Und zwar allein – warum, dass auch für dich interessant sein könnte, liest du in diesem Blogpost…
Ursprünglich wollte ich sogar mal für sieben Jahre die Welt bereisen. Aber das sind Einträge aus meinem
Traumtagebuch von vorgestern – doch vielleicht kommt das ja noch. Nun, vor circa 3 bis 4 Jahren habe ich dann den Beschluss gefasst mein „Auslandsjahr“ selber zu gestalten. Mal was bewusster Mal ganz unbewusst – mal habe ich Pläne über Bord geworfen und vor allen Dingen hat mein Umfeld bis kurz vor meiner Reise so gut wie nichts davon gewusst, weil: Angst vor Ablehnung. Doch ich bin über meinen Schatten gesprungen und habe mich getraut. Am 16.02.2022 ging meine Reise los…
90 Tage Jamaika
Diese drei Monate gingen schnell vorbei, doch wenn ich zurückblicke, ist doch ganz schön viel passiert. Es haben sich sehr wertvolle und neue Kontakte schließen können, ich habe mich für eine dann doch sehr fremde Kultur geöffnet, hatte einige Herausforderungen zu meistern, habe viel trainiert und einfach mal gelernt zu Sein und abzuschalten.
Meine Reise beginnt in Negril im Westen der Insel – berühmt für seinen 7 Miles Beach- ein Strand, den ich
jedem nur wärmstens ans Herz legen kann – auch wenn sehr touristisch. In Negril lerne ich eine jamaikanische Familie kennen, bei denen ich 12 Nächte verbringe. Die Unterkunft befindet sich sehr ländlich und gefühlt auf einer Spitze des Bergs. Ich bin also fernab vom Tourismus – ich sehe viele Ziegen, freilaufende Hunde, hart arbeitende Farmer und Familien, die vor ihren Häusern und Hütten Domino spielen. Ich bereue es keine Sekunde eine abgelegene Unterkunft gewählt zu haben. Ich habe das echte Landleben kennengelernt, mit einer jamaikanischen Familie gelebt, die ihren Alltag dort lebt und darüber hinaus viele neue Kontakte geknüpft. All das hätte ich in einem „All in“ Hotel wahrscheinlich nicht so erlebt.
Das Tanzen!
Doch jetzt komm ich zum eigentlichen Teil der mich nach Jamaika gezogen hat – Das Tanzen! Ende Februar geht es für gut zwei Monate nach Kingston – die Hauptstadt in der sich jeder Abend wie Freitag anfühlt. Es geht in ein Tanz-Hostel, dass ich schon seit mehreren Jahren über Social Media verfolge. Hier treffen sich Tänzer von überall. Durch die Pandemie ist es natürlich etwas ruhiger geworden, doch trotzdem treffe ich Menschen aus der ganzen Welt, unter anderem aus: Spanien, Frankreich, Chile, Österreich, Mexiko und natürlich auch Deutsche. Anfangs war es etwas schwierig für mich in den Kontakt zu gehen, da ich ein introvertierter Mensch bin und etwas Zeit brauche, um in meiner neuen Umgebung anzukommen.
Doch das hat sich am zweiten Tag schon wieder gelegt. Ab dann wurde es wirklich sehr intensiv – manchmal geht so eine „Tanzstunde“ 90 Minuten oder länger – und im Anschluss wird noch ein Video davon gemacht, um alles festzuhalten. Den Stundenplan kann ich mir selber gestalten – meistens sind wir eine kleine Gruppe mit zwischen drei bis sechs Mann.
Dancehall
Was für andere nur ein Tanzstil ist, war für mich fast schon Therapie. Im Dancehall unterscheidet man zwischen Male und Female Moves – also weiblich und männlich. Es gibt außerdem noch viele andere Unterteilungen -doch das würde jetzt den Rahmen hier sprengen. Jedenfalls konnte ich beide Anteile so richtig ausleben und habe dabei gemerkt, wo noch Blockaden in mir stecken. Für so manchen ist Dancehall erst einmal ein Kulturschock – gerade, wenn es um die weibliche Seite geht. Meistens provokant und leicht bekleidet, es wird gezeigt „was man hat“, die Beine gespreizt, alles eben stolz präsentiert und angefasst, man ist mit sich im Reinen, man gibt seiner Sexualität Raum und Ausdruck.
Queen Style
Im Queen Style wird es sogar sehr akrobatisch und man sieht eine Dancehall Queen nicht selten im
Kopfstand oder in den Spagat springen. Und dabei ist es egal wie verrückt oder außergewöhnlich der Anschein ist. Anfangs hatte ich auch da Hemmungen mich ausdrücken, doch durch Gruppendynamik und der Energie der jamaikanischen Tänzer wird man schnell in dieselbe Bahn gezogen. Positiver Nebeneffekt ist natürlich, dass sich dadurch der Selbstwert, das eigene Selbstbewusstsein und das Körpergefühl enorm steigern. Doch auch die männliche Energie kommt nicht zu kurz, hier kann ich meiner Maskulinität Ausdruck
schenken und zeigen was für ein „bad gyal“ in mir steckt. Es ist also für jeden was dabei – in der Intensität oder in dem Stil, den man sich wünscht.
Die Dancehall Szene
… ist auf Jamaika auch mittlerweile zu einem wichtigen Wirtschaftszweig geworden. Tänzer/Choreographen/ oder einfach Interessierte und Hobby Tänzer auf der ganzen Welt kommen regelmäßig nach Jamaika, um die neuesten Moves zu lernen oder um einfach die Tänzer vor Ort zu unterstützen. Mittlerweile touren auch viele jamaikanische Tänzer durch Europa und Südamerika und bauen sich dadurch einen internationalen Status auf, was sehr schön zu beobachten ist.Viele Jamaikaner wachsen eher in ärmlicheren Verhältnissen auf und dann geht ein Riesentraum in Erfüllung, wenn sie ein Visum bekommen und ausreisen können.
Ruhe und Natur
Nach sehr vielen unterschiedlichen Tanzstunden, legendären Partys, vielen neuen Kontakten, sehne ich
mich wieder nach was Ruhe und Natur. Und genau dafür geht es zum Ende meiner Reise nach Portland – dem grünsten Inselabschnitt im Norden der Insel. Und hier habe ich gelernt wirklich zu entspannen und mich mit der Natur zu verbinden. Was man hier direkt spürt, ist Entschleunigung. Die Menschen grüßen einen freundlich und sind sehr hilfsbereit, vielleicht aber auch etwas, dass man weltweit im Landleben mehr spürt.
Nicht nur die Natur entschleunigt einen hier, sondern auch die Menschen, die ich hier kennenlerne, tiefe
Gespräche entstehen und man kommt in den Genuss des SEINS und findet Frieden in sich. Irie Feeling eben.
Die letzten drei Wochen vergehen im Flug. Ich vergesse die Zeit und genieße manchmal den Luxus den
Strand für mich alleine zu haben. Ich bin zur “low season” angereist und werde es genauso auch wieder
tun (zwischen Februar und Mai). Eine sehr eindrucksvolle Reise geht vorbei – ich habe sehr viel neues gelernt und gesehen, mein Horizont hat sich erweitert, mein Freundeskreis, mein Wissen, mein Bewusstsein – ja vor allem mein Selbstbewusstsein.
Ein Schritt in meinem Leben den ich nicht rückgängig machen möchte, ein Wendepunkt, der genau zur
richtigen Zeit kam.
Jamaika ich komme wieder- til di next time!
Und bis dahin – Stay Irie!